Skip to content

Implikatur in der Bildkommunikation (2)

by on 07.01.2008

Im ersten Teil habe ich erläutert, was Grice unter der Implikatur versteht und welche Bedeutung diese für die Sprachphilosophie hat. Da Kommunikation auch nonverbal erfolgen kann, stellte sich für mich die Frage, inwieweit derselbe Theoriekomplex auch auf die Bildkommunikation angewendet werden kann.

Die Kutte macht nicht den Mönch – Bildkommunikation im 16. Jhd.

Da die verbale Implikatur mit einer sprachlichen Reichhaltigkeit einhergeht, wäre es nun interessant zu untersuchen, ob es auch eine bildliche oder bildhafte Reichhaltigkeit in der Kommunikation gibt, denn dann müsste ja genau dort auch die Implikatur zu finden sein.

Sextus Empiricus’ Bemerkung über die „analphabetischen Schiffslotsen und Bauern“ brachte mich auf die Idee, nach Beispielen für Bildkommunikation zu forschen, die speziell für Analphabeten gestaltet wurden. Das beste Beispiel gegen Barthes’ Auffassung von der semiotischen Heteronomie des Bildes fand ich in Flugblättern aus der Reformationszeit, mit denen protestantische, calvinistische und andere Reformbewegungen im 16. Jhd. versucht haben, das einfache, des Lesens unkundige Volk auf ihre Seite gegen die katholische Kirche zu ziehen. Diese Flugblätter wären somit in einen schwer zu umreißenden Grenzbereich aus Propaganda, Werbung, Aufklärung und Lehre einzuordnen. Das anonyme Flugblatt „Die Kutte macht nicht den Mönch“ (Abb. 2) enthält Metaphern, – die sich dem Laien des 21. Jahrhunderts nur schwer erschließen:

Abb. 2: Die Kutte macht nicht den Mönch, Flugblatt, 16. Jhd

Dieses Flugblatt stellt offensichtlich eine Abweichung von der Realität dar – ein klarer Verstoß gegen die Qualitätsmaxime (zeige nichts, was Du für falsch hältst). Damit soll ironisch die Autorität der sich für sakrosankt haltenden Kleriker untergraben werden, die die Macht ihres Kirchenamtes zum Eigennutz missbrauchen und dabei ihre eigentlichen geistigen Aufgaben vernachlässigen. Der Hund in Mönchskutte wirkt lächerlich und anmaßend – genau dies sollte die Intention dieses anonymen Flugblattherstellers sein. Man beachte hierbei: Diese Implikatur wirkt nur in der sozialen Gemeinschaft des 16. Jahrhunderts. Flugblatthersteller und Flugblattadressat teilten denselben Wissenshintergrund über Machenschaften der katholischen Kirche jener Zeit. Nur im Hintergrund dieses Kontextes konnte mithilfe der Implikatur diese Botschaft übertragen werden.

Karikatur heute – wenig Text ist wenig zu finden

Bleiben wir im Bereich der Karikatur. Die Zahl der Analphabeten ist in der Gegenwart mittlerweile als Adressat von Kommunikation vernachlässigbar gering, jedoch hat die Bildkommunikation immer noch den Vorteil, unterschiedliche Sprachgruppen gleichermaßen anzusprechen. Montageanleitungen international operierender Möbelhäuser, wie z.B. IKEA sind nahezu textfrei und arbeiten weitgehend mit Bildern, wenn auch ohne Implikaturen, sondern explizit, wie bereits behandelt. Karikaturen sind jedoch die Entsprechung von Ironie in der Bildkommunikation und kommen ebenso wie Ironie selbst nicht ohne Implikatur aus. Das Beispiel einer Karikatur, die sich gegen Rassismus richtet, stellt sowohl einen Verstoß gegen die Qualitäts- als auch gegen die Modalitätsmaxime dar (Abb. 3):

Abb. 3: Antirassistische Karikatur, Quelle: „Schwarze Katze“ (Rundbrief)

Genau aus diesen Maximenverletzungen heraus gestaltet sich auch hier wieder die Implikatur: Rassismus ist abzulehnen. Ohne Implikatur gäbe es auch nicht diese Botschaft. Und auch in diesem Beispiel teilen sich Zeichner bzw. Verwender der Karikatur und Adressat wieder einen gemeinsamen Wissenshintergrund, nämlich erstens, das es Rassismus gibt, der sich in der Ablehnung von Menschen mit anderer Hautfarbe äußert, und zweitens, dass Rassismus negativ konnotiert ist.

Bei aller Kritik an Barthes muss ich jedoch gestehen, dass sich die Suche nach textlosen Bildern gerade im Bereich der Karikatur wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen gestaltet. Anscheinend verhält es sich tatsächlich so, dass die gelungensten Karikaturen nur über eine Kombination von Text und Bild dargestellt werden können, wie überhaupt der Großteil an Karikaturen von dieser Art ist. Die wenigen Gegenbeispiele, wie in Abb. 3 dargestellt, überzeugen nicht unbedingt durch ein hohes Maß an Witz und Raffinesse.

Wo sich Jeeps am wohlsten fühlen – Imagery Werbung

Das letzte große – und in der gegenwärtigen Bedeutung auch bedeutendste Feld der Bildkommunikation, das ich auf Implikaturen untersucht habe, ist der Bereich der Anzeigenwerbung. Hier begegnete ich ähnlichen Schwierigkeiten, wie bei der Karikatur, nämlich, dass die textlose Werbeanzeige die ganz große Ausnahme darstellt. Gleichwohl scheint gerade diese Art der Werbung im Kommen zu sein, für die es auch Fachbegriff gibt: „Imagery Werbung“ (d.i. Werbung ohne Slogan, Headline und Body Copy). Eines der seltenen Beispiele für Imagery Werbung sehen wir in Abb. 4, eine Anzeige für den Chrysler Jeep:

Abb. 4: Chrysler Jeep, Agentur Contrapunto, Madrid, 2005

In dieser Anzeige sehen wir die Modalitätsmaxime der Mehrdeutigkeit verletzt. Der Jeep, der offensichtlich vorher auf dem Podest stand, steht nun in einer Urwald-artigen Umgebung, ohne dass wir wissen, wer ihn dorthin gefahren hat. Der Schluß, den der Betrachter daraus zieht, führt gleich zur Verletzung der Qualitätsmaxime: Ist der Jeep am Ende gar selbst in diese Umgebung gefahren, weil er sich dort „am wohlsten fühlt“? Die Kommunikationsbotschaft erreicht den Empfänger mittels doppelter Implikatur und die Imagination, d.h. Vorstellung von etwas (hier) nicht Realem führt zum Image des Produkts, d.h. „wild“ und „abenteuerlich“ zu sein. Auch dies funktioniert wiederum nur über das gemeinsame Hintergrundwissen der sozialen Gemeinschaft, innerhalb der sich Sender und Empfänger dieser Botschaft befinden, z.B. das der Jeep ein Auto ist, das vorzugsweise in rauem Gelände bewegt wird.

Zwar ist reine Imagery Werbung im Bereich der Printwerbung eine Seltenheit und wird anscheinend nur für bestimmte (z.B. elitäre) Produktgruppen verwendet, doch liegen die Vorteile gerade für die Werbeindustrie auf der Hand: Bilder besitzen eine stärkere Überzeugungskapazität und eine höhere emotionale Aussagekraft als Sprache. Zudem werden sie nicht nur schneller wahrgenommen, sondern bleiben auch länger im Gedächtnis. [4]

Fazit: Das, was gute Bildkommunikation ausmacht, ist die Implikatur!

Wann funktioniert reine, textlose Bildkommunikation am besten? Zwei Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein: Wenn sie erstens eine Botschaft erfolgreich transportiert (d.h. eine, die vom Adressaten auch verstanden wird) und zweitens, wenn sie in möglichst gut ausgeprägter bildlicher Reichhaltigkeit transportiert wird: Je raffinierter das gewählte Metapher, je verblüffender der Widerspruch, desto prägender und wirksamer das Bilderlebnis. Damit ist nicht nur gezeigt, dass es die Implikatur in der Bildkommunikation gibt, sondern dass sie sogar notwendig und konstitutiv für gute (nicht-technische) Bildkommunikation ist. Der Umstand, dass es weitaus weniger Beispiele für Implikaturen in der Bildkommunikation gibt, als für verbale – von Grice bezeichnete Implikaturen, ließe sich mit der Schwierigkeit begründen, komplexe Aussagen nonverbal abzubilden. Hier zeigen sich doch Grenzen der Bilddarstellung auf, während in anderen Bereichen, wie z.B. der Nicht-Beschränkung auf Sprachgruppen auch Vorteile zu finden sind. Aus dem Umstand, dass die Implikatur – wenn sie funktionieren soll, von bestimmten Voraussetzungen abhängt, kann man auch auf Gemeinsamkeiten von Sprach- und Bildimplikatur schließen, und damit, dass es sich hierbei um dieselbe Theorie handelt, die auf zwei unterschiedliche Bereiche angewendet werden kann. Diese Gemeinsamkeiten sind wie folgt zusammengefasst:

  1. Es besteht ein Kommunikationskontext.
  2. Die Kommunikation findet innerhalb einer sozialen Gemeinschaft statt.
  3. Die soziale Gemeinschaft teilt ein gemeinsames Hintergrundwissen.
  4. Die Gemeinschaft wendet die gleichen Verständigungsmaximen an.
  5. Diese Verständigungsmaximen gelten unterschwellig.
  6. Die Kommunikation ist sprachlich / bildlich reichhaltig.

[4] Vgl. Hager, Charlotte: Imagery Werbung, 2001, S. 60f.

Matthias Wühle

One Comment
  1. Das bild “Abb. 4: Chrysler Jeep, Agentur Contrapunto, Madrid, 2005” hat ein unglaubliches flair. So viel Natur auf dem kleinen Platz.

Leave a comment